Off the Record N°3 – Milena Krstić
Milena Krstić musste sich zwischen Journalismus und Musik entscheiden – sie wählte Letzteres, solo macht sie Sound als Milena Patagônia, im Duo als Cruise Ship Misery. Für die BKa schreibt sie trotzdem weiter.
30.1.24: Dies ist meine zweitletzte Kolumne für die BKa. Das hat mich veranlasst, durch meine Belgrader Chroniken zu blättern. Hier ein kleines Grossstadt-Throwback aus dem Jahr 2022.
3.4.22: Wir hantieren mit 2000er-Noten, alles kostet mehrere Tausend Dinar, 100 sind etwa einen Franken wert. Inflation nervt. Aus meinem Bauchtäschchen quillen Banknoten, auch Schweizer Franken, weil ich öfters Bargeld wechseln muss und besser nicht mit Karte bezahle, wegen der hohen Gebühren.
7.4.22: Habe mir den Film «Escape» (2004) von Darko Lungulov angesehen. Zurück im Appartement google ich: «Rolle Serbiens im Balkankrieg 90er-Jahre».
Stosse auf Jasenovac, Srebrenica, Regisseurin Jasmila Žbanić, die über die Belagerung Sarajevos spricht, lande bei Kusturicas «Underground», bin ergriffen vom Lied «Ederlezi», um dann am Ende von Enver Hoxhas Politik in Albanien zu erfahren. In meinem Hirn flimmert es. Die Fragmente verdichten sich, so sehr, wie es das Recherchen-Herumgehopse im Internet halt zulässt. Ich sage mir, gang gschider ga lige, aber ich muss das hier noch schreiben. Dass das einfach verdammt viel ist. Barbi Marković schreibt auf Seite 210 in ihrem Buch «Eine verschissene Zeit»: «Die Menschen werden durch die persönliche und kollektive Geschichte irren und sich fragen, was tun mit all der Vergangenheit?» Wie sehr ich das fühle.
24.7.22: War mit A., V. und S. am Fluss Nera an der Grenze zu Rumänien. Wir sind vor der Betonhitze der Stadt geflohen, mit Bus und SUV dort angekommen und haben den ganzen Tag im Wasser verbracht. Abends dann bei «Sneki» Smudj Fisch gegessen, mit einer Šopska Salata zur Vorspeise und zum Dessert eine Torta «Roma» oder «Grad», weiss nicht mehr, welche ich hatte.
28.7.22: Um 19:26 kam ich an der Ada an, traf mich mit V. auf einen Schwumm. Am Ufer attackierten uns die Mücken, V. zündete Thymianharz an, gekauft in einer der orthodoxen Kirchen. Auf der Heimfahrt trafen wir auf K., der eine Timelapse-Sequenz gefilmt und sich dafür auf einer Brücke eingerichtet hatte. Er erzählte uns, wie er vorhin eine Stimme aus einem Megafon hatte plärren hören, unten, aus einem Boot heraus, auf Serbisch.
Er verstand nicht und ging runter ans Ufer, wo die Wasserpolizei auf ihn wartete. In perfektem Englisch erzählten sie ihm, sie hätten einen Anruf erhalten, dass da jemand auf der Brücke stehe, vielleicht lebensmüde, man möge das doch bitte überprüfen. K. zeigte ihnen seine Aufnahmen. Sie lachten, dann sei ja alles klar, und verabschiedeten sich freundlich.